Willkommen am Ende des Kreises

Konferenzbeitrag von Dustin Jessen und Christoph Tochtrop

In den wissenschaftlichen und politischen Debatten um mögliche Strategien zur Bewältigung der Herausforderungen im „Anthropozän“ (Crutzen & Stoermer, 2000) ist der Kreis eine omnipräsente Metapher. Begriffe wie ‚Recycling‘, ‚Upcycling‘, ‚Downcycling‘, ‚Life Cycle‘ oder ‚Circular Economy‘ verweisen auf dieselbe geometrische Form, die sich in zahlreichen Grafiken zur Veranschaulichung der jeweiligen Gestaltungsansätze (McDonough & Braungart, 2002; Stahel, 2019; Webster, 2015; Wilts & Bakas, 2019) und politischen Strategien (European Commission, 2016; European Environment Agency, 2017) wiederfindet. Doch wie prägt der Kreis unser Denken und Handeln?

Da unterschiedliche Metaphern dazu führen, dass Menschen unterschiedlich über soziale Fragen nachdenken und unterschiedliche Wege der Schlussfolgerung beschreiten (Thibodeau & Boroditsky, 2015), möchten wir die Zweckmäßigkeit des Kreises als metaphorisches Werkzeug hinterfragen. Sprache schafft aktiv Wirklichkeit (Habeck, 2018; Wehling, 2016) und während es politisch oftmals notwendig sein mag, Themen zu abstrahieren, birgt der Kreis die Gefahr eines zu stark vereinfachten, unerreichbaren, geradezu desillusionierenden Ideals. Die Hoffnung auf endlos zirkulierende Materialien innerhalb der sogenannten ‚Technosphäre‘ basiert auf einer Natur/Kultur-Binarität, die als kulturelle Konstruktion im westlichen Denken besondere Verbreitung gefunden hat (Yates, 2008). Um die politischen Strategien der EU zu diskutieren, ohne sich von der Metapher des Kreises beirren zu lassen, wurde bereits angeregt „Circular Economy“ durch „dflkjdrl haqwnmz“ zu ersetzen (Kovacic et al., 2019: 50). Analog zu diesem rhetorischen Kniff – und im Bewusstsein, dass Wissensgrafiken einzigartige Zugänge zu Wissen schaffen (Baur & Felsing, 2019) – möchten wir alternative Metaphern und Formen in den Diskurs einbringen.

Durch Design werden in einem fortwährenden ‚Trial and Error‘- Prozess (Glanville, 2007) Ideen in Materie und Form überführt (Chipperfield, 2009, S. 11). Sich zu Beginn eines Entwurfsprozesses in eine Form zu verlieben, kann sich limitierend auf die in Betracht gezogenen Alternativen auswirken und alle weiteren Entscheidungen werden dem Erreichen der gewünschten Form untergeordnet. Sollten wir uns im ‚kulturellen Projekt‘ (Schneidewind, 2018) der ‚Großen Transformation‘ (WBGU, 2011) womöglich zu früh in die Schönheit des Kreises verliebt haben? Ein perfekter Stoffkreislauf ist aus thermodynamischen Gründen weder möglich (Reuter et al., 2018) noch unbedingt sinnvoll (Ressourcenkommission am Umweltbundesamt (KRU), 2019, S. 13). Eine Abwärtsspirale oder ein Hamsterrad wären unattraktive – weniger „göttliche“ (Munari, 2012: 5) –, aber passende Metaphern, um heutige Stoffströme zu beschreiben. Die Akteure, die man entlang des Kreises formiert sehen will, scheinen bereits erkannt zu haben, dass die Dinge nicht rund laufen. So begrüßte uns kürzlich der Betreiber einer Recyclinganlage mit den Worten: „Willkommen am Ende des Kreises“.

Einige Folien der Präsentation 

Die Begleitpublikation zur Jahrestagung der DGTF 2022 unter dem Titel »Design × Nachhaltigkeit. Jahrestagung der DGTF 2022« findet sich bei der hier oder bei der TU Dresden als Download.

 


Bibliographie:

  • Baur, R., & Felsing, U. (2019). On the Cultural Anchorings of Knowledge Visualization. Design Issues, 35(1), 52–66. https://doi.org/10.1162/desi_a_00520
  • Chipperfield, D. (2009). David Chipperfield Architects—Form Matters (R. Nys, Hrsg.). Verlag der Buchhandlung Walther König.
  • Crutzen, P. J., & Stoermer, E. F. (2000). The “Anthropocene”. IGBP Global Change Newsletter, 41, 17–18.
  • European Commission. (2016, November 30). Ecodesign Working Plan 2016-2019. https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?qid=1483960559694&uri=CELEX%3A52016DC0773
  • European Environment Agency. (2017). Circular by design—Products in the circular economy (Publication No 6/2017; EEA Report). https://www.eea.europa.eu/publications/circular-by-design
  • Glanville, R. (2007). Try again. Fail again. Fail better: The cybernetics in design and the design in cybernetics. Kybernetes, 36(9/10), 1173–1206. https://doi.org/10.1108/03684920710827238
  • Habeck, R. (2018). Wer wir sein könnten: Warum unsere Demokratie eine offene und vielfältige Sprache braucht. Kiepenheuer & Witsch.
  • Kovacic, Z., Strand, R., & Völker, T. (2019). The Circular Economy in Europe: Critical Perspectives on Policies and Imaginaries. Routledge. https://doi.org/10.4324/9780429061028
  • McDonough, W., & Braungart, M. (2002). Cradle to Cradle: Remaking the Way We Make Things (1. ed). North Point Press.
  • Munari, B. (2012). The Circle (2nd reprint). Maurizio Corraini srl.
  • Ressourcenkommission am Umweltbundesamt (KRU) (Hrsg.). (2019). Substitutionsquote – Ein realistischer Erfolgsmaßstab für die Kreislaufwirtschaft! Umweltbundesamt.
  • Reuter, M. A., Ballester, M., & van Schaik, A. (2018). Limits of the Circular Economy: Fairphone Modular Design Pushing the Limits. World of Metallurgy - Erzmetall, 2(71), 68–79.
  • Schneidewind, U. (2018). Die große Transformation: Eine Einführung in die Kunst gesellschaftlichen Wandels (Originalausgabe). Fischer Taschenbuch.
  • Stahel, W. R. (2019). The Circular Economy: A User’s Guide. Routledge, Taylor & Francis.
  • Thibodeau, P. H., & Boroditsky, L. (2015). Measuring Effects of Metaphor in a Dynamic Opinion Landscape. PLOS ONE, 10(7), e0133939. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0133939
  • WBGU. (2011). Welt im Wandel: Gesellschaftsvertrag für eine große Transformation. Hauptbd. Hauptgutachten (2. veränderte Auflage). Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltfragen.
  • Webster, K. (2015). The Circular Economy: A Wealth of Flows (First edition). Ellen MacArthur Foundation Publishing.
  • Wehling, E. (2016). Politisches Framing: Wie eine Nation sich ihr Denken einredet - und daraus Politik macht. Herbert von Halem Verlag.
  • Wilts, H., & Bakas, I. (2019). Preventing plastic waste in Europe (EEA Report, S. 57). Publications Office of the European Union. https://data.europa.eu/doi/10.2800/096909
  • Yates, A. (2008). On Nature, Culture and Sustainable Design. Design and Nature IV, I, 191–200. https://doi.org/10.2495/DN080201